Wie sieht der Berufsalltag eines Logopäden aus?

Es taucht immer wieder die Frage nach dem Arbeitsalltag eines Logopäden auf. Grund genug, hier mal einen Tagesablauf zu skizzieren.
Ich kann nicht behaupten er wäre repräsentativ, aber gibt er doch sicher einen kleinen Eindruck, wie es nach der Ausbildung aussehen könnte.

Stellt euch also einen Logopäden vor, der in einer neurologischen Klinik in der Frührehabilitation arbeitet und nebenbei in einer Praxis in einem Vorort. Und greifen wir uns bei diesem Logopäden mal einen Tag heraus und begleiten ihn bei seiner Arbeit.

Vormittag

06:45 Aufstehen, duschen und der ganze Kram
07:30 aufs Rad und ab zur Klinik
08:00 angekommen erst mal einen Kaffee… Austausch mit den Kolleginnen: was war wird ist und so weiter
08:15 also los auf Station… Ein Blick auf die Patiententafel. Wer ist in welchem Zimmer?
08:30 Patient mit einer fazialen Parese… wir besprechen kurz wie die Übungen am letzten Tag gelaufen sind… dann PNF… Übungen vor dem Spiegel und Gespräch über den Verlauf.
08:45 noch mal faziale Parese… diesmal eine Frau die kurz vor der Entlassung steht… also nur noch ganz dezente Schwäche… wir gehen die Übungen noch mal durch – mit PNF – und das wars. Weitere Therapie nicht nötig…
09:00 Der nächste Patient ist nicht auf seinem Zimmer… also suchen… schaue auf seinen Therapieplan: was hatte er vor mir für eine Therapie? Ah, Ergo… also los zu den Ergos. Wo ist mein Patient? Der ist schon weg. Hm, schade, also auf zur Raucherecke… da ist er! Also… jetzt müssen wir aber anfangen. Der Patient hat eine akute flüssige Dysphasie. Heute will ich schauen, ob er vielleicht doch auch eine Sprechapraxie hat. Viel Zeit haben wir nicht mehr durch die Sucherei…
09:30 und weiter geht's… neue Patientin ist eingeliefert worden und ich soll schauen, wie der Schluckakt abläuft… ist alles regelrecht? Also ziehe ich Kittel, Handschuhe und Mundschutz an (Patientin ist erst mal isoliert um auf Keime zu testen) und prüfe die Reflexe, wir machen einen Schluckversuch mit Roter Grütze… Scheint okay… willentliches Husten auch gut und ausreichend… Aber eine Parese des Hypoglossus und eine Schwäche des Velum hat sie sicher… auch mag sie ihr Gebiss nicht tragen. Da hab ich ja schon mal ein Ziel für die nächste Zeit… Essen erst mal passiert…
10:00 ich müsste eigentlich Berichte schreiben, morgen ist große Besprechung… Aber Patient wartet. Hat eine Sprechapraxie… wir arbeiten vorm Spiegel und sind noch bei den Lauten der ersten Artikulationszone… /m/ ist sicher, Vokale auch… aber die Plosive… Patient ist sichtlich verzweifelt…
10:30 wieder ein Patient mit einer fazialen Parese… ich will ein Eisstäbchen für PNF holen… alle weg! Mist… also zur Nachbarstation und dort eines ausleihen… wieder zurück… wir machen unsere Übungen… ohne Spiegel, den braucht grad eine Kollegin…
11:00 beim nächsten Patienten mache ich den AAT weiter… heute sind wir mit der Schriftsprache dran… es ist sehr anstrengend für den Patienten… aber er hält durch… nur dauert es sehr lange…
11:30 die Berichte sind immer noch nicht fertig… aber jetzt habe ich Zeit… also eine Zigarette und dann an den Schreibtisch…
12:00 ab in die Kantine -> Essen fassen

Nachmittag

12:20 mit dem Rad zum Bahnhof
12:47 Zug nach Melle. Während der Fahrt ein Blick in die Akten…
13:15 erste Patientin in der Praxis sitzt bereits im Wartezimmer, also los: Es ist ein Kind mit einer SEV, konjugiert Verben falsch, hat ein zu kleines Lexikon. Wir spielen, ich biete ihr vorher ausgedachte Formen immer wieder an… Jah! Sie immitiert… = Erfolg!
14:00 Mutter holt das Mädchen ab, unterschreibt, nächstes Kind sitzt schon im Wartezimmer. Das Mädchen hat die Zunge draußen beim /s/… also vor den Spiegel, Training für die Zungenrückziehermuskulatur… spreche den Ruheplatz der Zunge noch einmal an… Hat schon wieder nicht die Hausaufgaben gemacht. Schade! Wir machen Übungen zur Wahrnehmung und zum Hören… Schön, auf Silbenebene ist sie sicher…
14:45 Mutter kommt… Unterschrift. -> Kurze Pause… Kaffee und (pfui: Zigarette)
15:00 nächstes Kind. Verwechselt /k/ und /t/ sowie /g/ und /d/. Also machen wir Übungen zur Diskrimination, üben das /k/ und /g/ isoliert. Schön, es wird schon besser… ich versuche es auf Silbeneben… Schade, geht noch nicht… also weiter üben. Suche Übungen für zu Hause… hole die Mutter in den Therapieraum und erkläre was wir gemacht haben und die Hausaufgaben und wir reden ein bisschen über die Entwicklung. Dann Unterschrift und Tschüss.
15:45 das nächste Kind sollte längst warten – ist aber nicht da… warte … kommt nicht… toll… Pause… aber auch keine Therapie durchgeführt… gibt es kein Telefon?
16:30 nächstes Kind kommt pünktlich… schön… Also machen wir Übungen… usw…. das Kind macht aber einfach nicht mit… Ich versuche andere Spielverpackungen… nix… Kind sitzt da und macht nix. Okay… ich biete dem Kind ein Spiel seiner Wahl… nix… doch: es fängt an zu weinen… toll… immer lauter, jetzt schreit es… Hilfe… Okay… also Handpuppen-beruhigungs-Programm. Puh! Geschafft, es weint nicht mehr. Aber Therapie können wir immer noch nicht machen. Okay… Mutter kommt… ich berichte… Mutter unterschreibt und wir verabreden, dass sie in der nächsten Stunde dabei bleibt…
17:15 der letzte Patient für heute kommt. Ist ein Neuer. Stottern… Also mache ich den Beratungskram, erkläre den Ablauf der Therapie, Organisatorisches aus der Praxis… Dann die Frage vom Vater: wie lange dauert es bis sein Sohn wieder gesund ist… im Fernsehen hätte er gesehen, dass es so ein, zwei Stunden dauert… "Del Ferror" denke ich und krieg' ne Krise… Ich habe alle Mühe das gerade zu rücken und dabei diplomatisch zu bleiben. Patienten zu verlieren ist schlecht… aber die Einstellung des Vaters ist für die Therapie auch schlecht… Ich Rette mich mit Diagnostik… Biete für die nächste Stunde ein Beratungsgespräch an…
18:00 Okay… Letzter Patient weg… noch schnell Berichte schreiben, aufräumen, noch ein Zigarette… dann Licht aus… und zum Bahnhof.
18:58 mein Zug nach Osnabrück… kurze Entspannung…
19:20 bin zu Hause. Schön. Essen, dann ein bisschen Telefonieren…
… der Rest geht euch nichts an
24. November 2024aktualisiert

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